November 2012
Vortrag über die NSDAP-Ortsgruppe Niederkirchen im Ostertal
am 1. November 2012
Hoof. Bis auf den letzten Platz besetzt war der Saal des protestantischen Gemeindehauses, wo der Vorsitzende des Heimat- und Kulturvereins Ostertal, Hans Kirsch, über das Thema „Die NSDAP-Ortsgruppe Niederkirchen im Ostertal“ referierte. Eingangs zitierte er den Dichter Erich Kästner, der nach dem Ende des Dritten Reiches bekannt hatte, nicht gegen die Nationalsozialisten aufbegehrt zu haben: „Weil keiner unter uns und überhaupt niemand die Mutfrage beantworten kann, bevor die Zumutung an ihn herantritt. Keiner weiß, ob er aus dem Stoffe gemacht ist, aus dem der entscheidende Augenblick Helden macht.“ Vor diesem Hintergrund, so Kirsch, verbiete es sich für die Nachgeborenen, darüber zu befinden, wie sich die damalige Generation hätte verhalten müssen. Es sei auch nicht Aufgabe des Historikers, zu verurteilen. Er habe aber das Recht und sogar die Pflicht, Geschehenes ans Licht zu bringen.
Kirsch schilderte detailliert, wie er gemeinsam mit Klaus Zimmer im Bundesarchiv Berlin die Entstehung und mitgliedermäßige Zusammensetzung der NSDAP-Ortsgruppe erforscht habe. Die Ortsgruppe Niederkirchen sei Ende 1931 gegründet worden. Bis Januar 1933 hätten sich danach auch in Hoof, Bubach und Selchenbach kleine Ortsgruppen gebildet. Im Frühjahr 1933 hätten sich diese vier dann zu einer größeren Ortsgruppe zusammengeschlossen., die die sieben Gemeinden der Bürgermeisterei umfasst habe. Der Name lautete „NSDAP Ortsgruppe Niederkirchen im Ostertal“. Über die Zahl der Mitglieder waren in der Vergangenheit keinerlei Informationen bekannt. Als erstes fanden die beiden Forscher dann eine Angabe des letzten Ortsgruppenleiters Karl Holzapfel, wonach der Ortsgruppe 40 Mitglieder angehört hätten. Die weiteren Nachforschungen ergaben jedoch ein ganz anderes Ergebnis: Mindestens 280 Personen aus dem mittleren Ostertal waren Mitglied der NSDAP gewesen; fast alles Männer, ganz wenige Frauen. Am Ende des Dritten Reiches betrug die Mitgliederzahl infolge Fluktuation und Todesfällen nur noch 218.
Den stärksten Andrang nach einem Parteibuch habe es nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten Ende Januar 1933 gegeben. Da traten im mittleren Ostertal 88 Personen in die Partei ein. Nach einer dreijährigen Mitgliedersperre war die nächste Aufnahmespitze im Jahr 1937 mit 47 Aufnahmen zu verzeichnen. Ab 1939 sollte dann nach dem Willen des „Führers“ der Parteinachwuchs grundsätzlich nur noch aus der HJ und dem BDM, also aus Jugendlichen, rekrutiert werden. Allerdings habe die Reichsführung der Partei immer wieder auf die Einhaltung des Freiwilligkeitsprinzips beim Eintritt hingewiesen.
Sehr interessant sei die altersmäßige Schichtung der Ostertaler Ortsgruppe gewesen. Das durchschnittliche Eintrittsalter der Mitglieder habe 27,8 Jahre betragen. Der Anteil junger Parteimitglieder sei im mittleren Ostertal bedeutend höher gewesen als in der Pfalz und im Reich. Mehr als die Hälfte aller Ortsgruppenmitglieder waren bei ihrem Eintritt 25 Jahre oder jünger. Offenbar, so Kirsch, habe der Nationalsozialismus auf die Ostertaler Jugend eine große Faszination ausgeübt. Zumindest sei es der Partei gelungen, sich die Erwartungen und Hoffnungen der jungen Generation, deren Zukunftspläne angesichts der Massenarbeitslosigkeit ja ins Leere zu gehen drohten, zunutze zu machen. Die über 40-Jährigen stellten nach der Untersuchung in der Ortsgruppe nur eine kleine Minderheit dar.
Bei den Wohnorten der Parteimitglieder stand Niederkirchen mit 88 Mitgliedern an der Spitze vor Osterbrücken mit 39. Die wenigsten kamen aus Bubach mit 24 und Marth mit 20 Mitgliedern. Gemessen an der Einwohnerzahl gab es die größte Mitgliederdichte allerdings in Saal mit 10,8 Prozent, gefolgt von Osterbrücken mit 9,4 Prozent. Die geringste Mitgliederdichte wiesen Hoof mit 3,9 Prozent und Marth mit 5,0 Prozent auf.
Die Ortsgruppe war ganz überwiegend eine Männergesellschaft, nur 12 der 280 Mitglieder waren Frauen. Bei der beruflichen Zusammensetzung der Mitgliedschaft machte die Unter- suchung deutlich, dass ein Großteil der Mitglieder Arbeiter waren. Eine differenzierte Aufarbeitung zeigte jedoch, dass insbesondere die bei einheimischen Betrieben beschäftigten Facharbeiter stärker in der Partei repräsentiert waren als die Industriearbeiter, die deutlich mehr Distanz zur Partei wahrten.
Im Anschluss an den Vortrag entwickelte sich eine rege Diskussion, bei der es nicht nur um Fragen der Parteimitgliedschaft, sondern auch um Wahlergebnisse, politische Entwicklungen und Vorkommnisse in der Zeit der Weimarer Republik, insbesondere in der Übergangszeit zum Nationalsozialismus, ging.